Beschluss vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2018:rs20180724.2bvr196109 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 - Rn. (1-64), |
Judgement Number | 2 BvR 1961/09 |
Date | 24 Julio 2018 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1961/09 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1.der Frau P…, |
||
2.des Herrn P…, |
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3.der Frau R…, |
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4.des Herrn B…, |
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5.der Frau W…, |
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6.des Herrn W…, |
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7.der Frau B…, |
||
8.des Herrn O…, |
- Bevollmächtigter
-
Rechtsanwalt Norbert Pahl,
in Sozietät Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Platz der Einheit 2 / Pollux, 26. OG, 60327 Frankfurt am Main -
1. |
unmittelbar gegen |
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a)das Urteil des Bundesgerichtshofs |
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vom 9. Juli 2009 - III ZR 46/08 -, |
||
b)das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main |
||
vom 13. Februar 2008 - 17 U 50/07 -, |
||
2. |
mittelbar gegen |
|
das Gesetz zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 über die Satzung der |
||
Europäischen Schulen vom 31. Oktober 1996 (BGBl II S. 2558) |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
am 24. Juli 2018 beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft unmittelbar die Frage, ob deutsche Gerichte den Eltern von Schülern der Europaschule Frankfurt am Main Rechtsschutz gegen die Erhöhung des Schulgeldes gewähren müssen, und mittelbar die Vereinbarkeit des Zustimmungsgesetzes vom 31. Oktober 1996 zur Satzung der Europäischen Schulen vom 21. Juni 1994 mit dem Grundgesetz.
I.
1. Die Europäische Schule Frankfurt am Main ist eine von derzeit 13 Europäischen Schulen und eine unselbständige Untergliederung der zwischenstaatlichen Einrichtung Europäische Schulen. Diese wurde gemeinsam von den Regierungen der Mitgliedstaaten der (vormaligen) Europäischen Gemeinschaften - jetzt der Europäischen Union - gegründet, um Kindern von Eltern, die in europäischen Institutionen arbeiten, einen Unterricht in der Muttersprache zu ermöglichen.
Die Errichtung der Europäischen Schulen beruht auf der zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden vereinbarten Satzung der Europäischen Schule vom 12. April 1957 (BGBl II 1965 S. 1042) sowie dem Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen unter Bezugnahme auf die zunächst am 12. April 1957 in Luxemburg unterzeichnete Satzung der Europäischen Schule vom 13. April 1962 (BGBl II 1969 S. 1302). Bei diesen Rechtsakten handelt es sich um völkerrechtliche Verträge, denen der Deutsche Bundestag mit Gesetzen vom 26. Juli 1965 (BGBl II S. 1041) und vom 25. Juli 1969 (BGBl II S. 1301) zugestimmt hat. Die ursprüngliche Satzung ist mittlerweile durch die Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen vom 21. Juni 1994 - im Folgenden als Satzung bezeichnet - ersetzt worden (BGBl II 1996 S. 2559 ff.). Gemäß Art. 34 der Satzung tritt diese an die Stelle der Satzung vom 12. April 1957 und des dazugehörigen Protokolls vom 13. April 1962. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihr durch Gesetz vom 31. Oktober 1996 zugestimmt (BGBl II S. 2558). Die Satzung ist am 1. Oktober 2002 in Kraft getreten (BGBl II 2003 S. 459). Vertragsparteien sind derzeit die Mitgliedstaaten der (vormaligen) Europäischen Gemeinschaften - jetzt der Europäischen Union - und die (vormaligen) Europäischen Gemeinschaften - jetzt die Europäische Union - selbst sowie die im Zuge der Erweiterungen der Europäischen Union neu hinzugekommenen Mitgliedstaaten (vgl. BGBl II 2004 S. 1728; 2007 S. 1304; 2013 S. 1543).
Ziel der Europäischen Schulen ist es, die Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, heute der Europäischen Union, gemeinsam zu unterrichten (vgl. Art. 1 Satz 2 der Satzung). Am Unterricht nehmen vornehmlich diese Kinder (Kategorie I) sowie Kinder von Bediensteten teil, deren Anstellungskörperschaften mit den Europäischen Schulen ein Finanzierungsabkommen geschlossen haben (Kategorie II).
Im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten steht der Schulbesuch gegen Zahlung eines Schulgeldes auch anderen Kindern offen (Kategorie III). Das Schulgeld wird den Eltern der Schüler auf Beschluss des Obersten Rates auferlegt (Art. 25 Nr. 4 der Satzung). Letzterer setzt sich aus Vertretern der einzelnen Mitgliedstaaten auf Ministerebene, einem Mitglied der Europäischen Kommission, einem Vertreter des Lehrkörpers sowie einem Vertreter der Elternschaft zusammen (vgl. Art. 8 Abs. 1 der Satzung). Bei der Einschreibung verpflichten sich die Eltern, das festgesetzte Schulgeld innerhalb der vorgesehenen Fristen zu zahlen. Unterbleibt die Zahlung, gilt der Schüler als von der Schule abgemeldet und wird im darauffolgenden Schuljahr nicht mehr an den Europäischen Schulen aufgenommen (vgl. Art. 31 der Schulordnung in der Fassung vom 3. April 2000 und Art. 30 der Schulordnung in der Fassung vom 1./2. Februar 2005).
Die einschlägigen Bestimmungen der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen vom 21. Juni 1994 (ABl EG Nr. L 212 vom 17. August 1994; BGBl II 1996 S. 2559 ff.) haben folgenden Wortlaut:
Präambel
Für den gemeinsamen Unterricht der Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften wurden zur Sicherung des ordnungsgemäßen Funktionierens der europäischen Organe bereits 1957 Lehranstalten mit der Bezeichnung „Europäische Schule“ eingerichtet.
Die Europäischen Gemeinschaften sind bestrebt, den gemeinsamen Unterricht dieser Kinder sicherzustellen, und leisten zu diesem Zweck einen Beitrag zum Haushalt der Europäischen Schulen.
Die Europäischen Schulen bilden ein Schulsystem besonderer Art. Bei diesem System wird eine Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und den Europäischen Gemeinschaften verwirklicht; gleichzeitig bleibt die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie die Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen in vollem Umfang erhalten.
Es empfiehlt sich,
- einen angemessenen Rechtsschutz des Lehrpersonals und der sonstigen unter diese Satzung fallenden Personen gegenüber Entscheidungen des Obersten Rates oder der Verwaltungsräte zu gewährleisten und zu diesem Zweck eine Beschwerdekammer mit genau festgelegten Befugnissen einzurichten;
- festzulegen, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammer die Zuständigkeit der nationalen Gerichte in Zivil- und Strafsachen nicht berühren.
Artikel 1
Mit dieser Vereinbarung wird die Satzung der Europäischen Schulen (im folgenden „Schulen“ genannt) festgelegt. Ziel der Schulen ist es, die Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften gemeinsam zu unterrichten. Außer den Kindern, die unter die Übereinkünfte nach den Artikeln 28 und 29 fallen, können in den Schulen im Rahmen der vom Obersten Rat festgelegten Grenzen auch andere Kinder unterrichtet werden.
Artikel 6
Jede Schule besitzt Rechtspersönlichkeit, soweit dies für die Erfüllung ihres Ziels im Sinne von Artikel 1 erforderlich ist. Zu diesem Zweck ist sie gemäß der in Artikel 13 Absatz 1 genannten Haushaltsordnung in der Verwaltung der für sie im Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel unabhängig. Sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden. Sie kann insbesondere bewegliches und unbewegliches Vermögen erwerben und veräußern. Hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten gilt die Schule in den Mitgliedstaaten vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen dieser Vereinbarung als öffentlich-rechtliche Bildungseinrichtung.
Artikel 8
(1) Vorbehaltlich des Artikels 28 setzt sich der Oberste Rat aus folgenden Mitgliedern zusammen:
a) dem bzw. den Vertreter(n) der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf Ministerebene, der bzw. die befugt ist (sind), für den jeweiligen Mitgliedstaat verbindlich zu handeln, wobei jeder Mitgliedstaat nur eine Stimme hat;
b) einem Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften;
c) einem vom Personalausschuss nach Artikel 22 benannten Vertreter (aus dem Lehrkörper);
d) einem von den Elternvereinigungen nach Artikel 23 benannten Vertreter der Elternschaft.
Artikel 9
(1) Außer in den Fällen, in denen diese Vereinbarung Einstimmigkeit vorschreibt, werden die Beschlüsse des Obersten Rates vorbehaltlich folgender Bestimmungen mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder gefasst:
a) Für die Annahme eines Beschlusses, der die spezifischen Interessen eines Mitgliedstaats berührt - wozu die wesentliche Erweiterung der Einrichtungen oder die Schließung einer in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Schule gehört - ist die befürwortende Stimmabgabe des Vertreters dieses Mitgliedstaates erforderlich.
b) Für die Schließung einer Schule ist die befürwortende Stimmabgabe des Mitglieds der Kommission erforderlich.
c) Der Vertreter einer Organisation des öffentlichen Rechts, der im Obersten Rat aufgrund eines Übereinkommens nach Artikel 28 einen Sitz und eine Stimme erhalten hat, ist bei allen Fragen im Zusammenhang mit der Schule, die Gegenstand jenes Übereinkommens ist, stimmberechtigt.
d) Das Stimmrecht des Vertreters des Personalausschusses nach Artikel 8 Buchstabe c) und des Vertreters der...
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Urteil vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14
...Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl. BVerfGE 60, 253 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 -, Rn. 35). Für Klagen gegen im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus getroffene Maßnahmen sind grundsätzlich die Verwaltungsgerichte zu......
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...zu ermitteln oder zu konkretisieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juni 1989 - 1 BvR 32/87 - BVerfGE 80, 257 und vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 - NJW 2018, 3374 Rn. 64; BVerwG, Beschlüsse vom 11. April 2017 - 4 B 11.17 - ZfBR 2017, 587 Rn. 4 und vom 14. August 2018 - 9 B 18.17 - juris ......
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...zu ermitteln oder zu konkretisieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juni 1989 - 1 BvR 32/87 - BVerfGE 80, 257 und vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 - NJW 2018, 3374 Rn. 64; BVerwG, Beschlüsse vom 11. April 2017 - 4 B 11.17 - ZfBR 2017, 587 Rn. 4 und vom 14. August 2018 - 9 B 18.17 - juris ......
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