Urteil Nr. VIII ZR 155/21 des VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, 06-07-2022

ECLIECLI:DE:BGH:2022:060722UVIIIZR155.21.0
Date06 Julio 2022
Docket NumberVIII ZR 155/21
CourtVIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
ECLI:DE:BGH:2022:060722UVIIIZR155.21.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 155/21 Verkündet am:
6. Juli 2022
Reiter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 306, 134; AVBFernwärmeV §§ 4, 24 Abs. 4 (in der bis zum 4. Oktober
2021 geltenden Fassung); KlauselRL Art. 6 Abs. 1
a) Bei Preisänderungsklauseln in Fernwärmelieferungsverträgen gebietet das Trans-
parenzgebot in § 24 Abs. 4 Satz 2 AVBFernwärmeV eine Erläuterung der Zusam-
mensetzung der Bezugspreise des Fernwärmeversorgungsunternehmens, also ins-
besondere der diesen zugrundeliegenden vertraglichen und preislichen Bestimmun-
gen, oder auch die namentliche Bezeichnung des Bezugslieferanten nicht. Aller-
dings muss eine Preisänderungsklausel zum Arbeitspreis, mit dem die vom Kunden
abgenommene Wärmemenge vergütet wird, nach § 24 Abs. 4 Satz 1 AVBFernwär-
meV zwingend auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen
berücksichtigen (Bestätigung des Senatsurteils vom 1. Juni 2022 - VIII ZR 287/20,
juris Rn. 20 ff., 27 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
b) Nach Maßgabe des § 306 Abs. 1 BGB führt die Unwirksamkeit einer nur eine Preis-
komponente (hier: den Arbeitspreis) betreffenden Preisänderungsklausel nach § 24
Abs. 4 AVBFernwärmeV in Verbindung mit § 134 BGB nicht zugleich zur Unwirk-
samkeit andere Preiskomponenten (hier: den Bereitstellungspreis) betreffender An-
passungsklauseln, wenn es sich - wie im Regelfall - um inhaltlich voneinander trenn-
- 2 -
bare Vertragsklauseln handelt, die jeweils Gegenstand einer gesonderten Wirksam-
keitsprüfung nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV sind (Bestätigung des Senatsur-
teils vom 6. April 2022 - VIII ZR 295/20, NJW 2022, 1944 Rn. 44 ff.).
c) Die in Energieversorgungsstreitigkeiten entwickelte sogenannte Dreijahreslösung
des Senats vermeidet die bei einer Gesamtnichtigkeit des Versorgungsvertrags für
den Kunden eintretenden nachteiligen Folgen einer bereicherungsrechtlichen
(Rück-)Abwicklung, indem sie entsprechend den auch nach der jüngeren Recht-
sprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu beachtenden Zielsetzun-
gen von Art. 6 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG darauf angelegt ist, die nach
dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der
Vertragsparteien unter Heranziehung und Gewichtung ihrer Interessen durch eine
materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und auf diese Weise ein Gleichgewicht der
Rechte und Pflichten tatsächlich wiederherzustellen (Bestätigung des Senatsurteils
vom 1. Juni 2022 - VIII ZR 287/20, juris Rn. 42 ff. mwN, zur Veröffentlichung in
BGHZ vorgesehen).
d) Der nach der Dreijahreslösung maßgebliche Preis tritt endgültig an die Stelle des
zwischen den Parteien des Energieversorgungsvertrags vereinbarten Anfangsprei-
ses. Wird dieser neue "Ausgangspreis" anschließend unterschritten, hat der Kunde
für die Zeiträume der Preisunterschreitungen aber nur die geringeren Entgelte zu
entrichten (Bestätigung der Senatsurteile vom 6. April 2016 - VIII ZR 79/15, BGHZ
209, 337 Rn. 40; vom 5. Oktober 2016 - VIII ZR 241/15, NJW-RR 2017, 557
Rn. 27). Da derartige nachträgliche Preissenkungen jedoch den nach der Dreijah-
reslösung maßgeblichen neuen "Ausgangspreis" nicht dauerhaft ersetzen, kann der
Energieversorger nach einer solchen Preissenkung anschließend auch erneute
Preissteigerungen geltend machen, soweit diese den nach der Dreijahreslösung
maßgeblichen "Ausgangspreis" nicht überschreiten.
e) Ein Fernwärmeversorgungsunternehmen ist gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBFernwärmeV
in Verbindung mit § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV berechtigt und - soweit das Kun-
deninteresse dies erfordert - verpflichtet, eine von ihm gegenüber Endkunden ver-
wendete - von Vertragsbeginn an unwirksame oder ab einem bestimmten Zeitpunkt
danach unwirksam gewordene - Preisänderungsklausel auch während des laufen-
den Versorgungsverhältnisses mit Wirkung für die Zukunft einseitig anzupassen,
wenn und soweit dadurch sichergestellt wird, dass die Klausel den Anforderungen
des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entspricht (Bestätigung des Senatsurteils vom
26. Januar 2022 - VIII ZR 175/19, ZIP 2022, 901 Rn. 30 ff., zur Veröffentlichung in
BGHZ vorgesehen).
BGH, Urteil vom 6. Juli 2022 - VIII ZR 155/21 - KG Berlin
LG Berlin
- 3 -
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Juli 2022 durch den Richter Dr. Bünger als Vorsitzenden, die Richter
Kosziol und Dr. Schmidt, die Richterin Dr. Matussek sowie den Richter
Dr. Reichelt
für Recht erkannt:
Auf die Anschlussrevision der Beklagten wird unter Verwerfung ih-
rer Revision das Urteil des Kammergerichts - 28. Zivilsenat - vom
28. April 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Be-
klagte darin zur Zahlung von 4,76 € nebst Zinsen verurteilt worden
ist. Im vorbezeichneten Umfang wird das Urteil des Landgerichts
Berlin - Zivilkammer 64 - vom 15. Januar 2020 auf die Berufung der
Beklagten - auch im Kostenpunkt - abgeändert und das Zahlungs-
begehren des Klägers auch insoweit abgewiesen.
Weiter wird das vorbezeichnete Urteil des Kammergerichts auf die
Anschlussrevision der Beklagten insoweit aufgehoben, als darin
festgestellt wird, dass die den Arbeitspreis betreffende Preisände-
rungsklausel im Schreiben der Beklagten vom 24. April 2019 nicht
wirksam in den zwischen den Parteien bestehenden Wärmeliefe-
rungsvertrag vom 15./23. Oktober 2009 einbezogen worden sei. Im
Umfang dieser Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die weitergehende Anschlussrevision der Beklagten wird zurückge-
wiesen.

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