Beschluss vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210111.1bvr268120 |
Date | 11 Enero 2021 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 1-42, |
Judgement Number | 1 BvR 2681/20 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2681/20 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der D… GmbH & Co. KG, vertreten durch die S… GmbH & Co. KG, diese vertreten durch die R… GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführung, |
- Bevollmächtigte:
- … -
gegen |
a) |
den Berichtigungsbeschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts |
vom 3. November 2020 - 7 W 127/20 -, |
||
b) |
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts |
|
vom 29. Oktober 2020 - 7 W 127/20 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Paulus,
Christ
und die Richterin Härtel
am 11. Januar 2021 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 2020 - 7 W 127/20 - in Form des Berichtigungsbeschlusses vom 3. November 2020 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Seine Wirksamkeit wird bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache oder bis zu einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg im Widerspruchsverfahren 324 O 385/20, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten ausgesetzt.
- Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
- Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
I.
Die Verfassungsbeschwerde und der in Ergänzung gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richten sich gegen eine einstweilige Verfügung, die der Pressesenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts ohne Anhörung der Beschwerdeführerin in einer äußerungsrechtlichen Angelegenheit erlassen hat.
1. Das zugrundeliegende Verfahren betrifft die Geltendmachung von Gegendarstellungsansprüchen.
Die Beschwerdeführerin verantwortet eine Internetplattform. Am 11. September 2020 veröffentlichte sie auf dieser einen Artikel mit der Überschrift „[…] lobbyierte in China für […]“. In diesem Artikel wurde über die Lobbyaktivitäten einer vom Antragsteller des Ausgangsverfahrens gegründeten und geführten Firma berichtet. Der Artikel lautete auszugsweise:
„[…] sprach in Sachen […] nicht nur im Kanzleramt vor: Nach SPIEGEL-Informationen arrangierte der Ex-[…] auch Treffen von Managern in der deutschen Botschaft in Peking. […] Schon ein Jahr, bevor sich […] an […] wandte, kontaktierte ein hoher Vertreter seiner Firma […] den deutschen Botschafter in Peking, um ein Treffen mit […]-Managern zu arrangieren.“
2. Wegen dieser Berichterstattung forderte der Antragsteller des Ausgangsverfahrens die Beschwerdeführerin mit anwaltlichem Schreiben vom 15. September 2020 zu einer (Online-)Gegendarstellung hinsichtlich Teilen des oben wiedergegebenen Auszugs der Berichterstattung auf. In einem weiteren, ebenfalls gegen die angegriffene Berichterstattung gerichteten Unterlassungsschreiben, auf das der Antragsteller im Rahmen der Abmahnung Bezug nahm, führte er aus, es treffe zwar zu, dass sich Mitarbeiter seines Unternehmens entsprechend verhalten hätten, er selbst sei hieran jedoch weder beteiligt gewesen, noch habe er sich in irgendeiner Weise dazu verhalten. Aus der Meldung der Beschwerdeführerin ergebe sich jedoch, dass er selbst lobbyiert habe. Hierbei handele es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung. Eine darüber hinausgehende Begründung enthielt das dreiseitige Abmahnungsschreiben nicht.
Die Beschwerdeführerin lehnte die Veröffentlichung der Gegendarstellung mit Schreiben vom 16. September 2020 ab. Der Antragsteller trete einer Behauptung entgegen, die die streitgegenständliche Meldung nicht aufstelle. Für den verständigen und unvoreingenommenen Durchschnittsleser sei ohne weiteres erkennbar, dass die angegriffene Berichterstattung sich auf die dem Antragsteller als Gründer, Inhaber und Chairman obliegende Verantwortung für die Aktivitäten seiner Firma beziehe.
3. Mit Schriftsatz vom 23. September 2020 beantragte der Antragsteller beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung der Gegendarstellung zu verpflichten. Die Antragsschrift umfasste sieben Seiten. Hierin ging der Antragsteller unter anderem auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Rahmen ihres die Veröffentlichung der Gegendarstellung ablehnenden Schreibens vom 16. September 2020 ein, erwiderte darauf ausführlich und versuchte potentiellen Gegenargumenten der Beschwerdeführerin vorzugreifen.
a) Allein dem Antragsteller teilte die Pressekammer des Landgerichts Hamburg mit gerichtlicher Verfügung vom 28. September 2020 mit, dass Bedenken gegen den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung bestünden. Die Formulierung der angegriffenen Teile der Berichterstattung sowie der geforderten Gegendarstellung deuteten im Gesamtzusammenhang darauf hin, dass es sich um Meinungsäußerungen handele, die nicht gegendarstellungsfähig seien. Möglicherweise könne der Eindruck, dass der Antragsteller selbst tätig geworden sei, mit einer Gegendarstellung angegriffen werden. Es sei jedoch zweifelhaft, ob es sich um einen zwingenden Eindruck handele.
b) Daraufhin ließ der Antragsteller der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 drei modifizierte Versionen der Gegendarstellung zukommen. Das Schreiben umfasste fünf Seiten (davon drei Seiten Gegendarstellungen). Eine Veröffentlichung der ursprünglich zugeleiteten Gegendarstellung werde nicht weiter verlangt. Der geltend gemachte Anspruch werde als erfüllt angesehen, sofern die Beschwerdeführerin eine der drei neuen Fassungen der Gegendarstellung veröffentliche. Abgesehen von einer Bezugnahme auf das vorhergegangene Schreiben enthielt das Schreiben keine Begründung. Die Beschwerdeführerin lehnte in der Folge die Veröffentlichung der drei alternativen Gegendarstellungen ab.
c) Mit dem Ziel, die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung einer der drei neuen Fassungen seiner Gegendarstellung zu verpflichten, beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 bei der Pressekammer des Landgerichts Hamburg erneut, eine einstweilige Verfügung zu erlassen. In seinem – wiederum sieben Seiten umfassenden – Schriftsatz ging der Antragsteller auf die gerichtliche Verfügung vom 28. September 2020 ein und erwiderte auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrem erneuten Ablehnungsschreiben.
4. Mit Beschluss vom 12. Oktober 2020 wies das Landgericht, das in den beiden Schriftsätzen vom 23. September und 8. Oktober 2020 einen einheitlichen Antrag sah, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Der ursprünglich vom Antragsteller geforderte Abdruck sei nicht gegendarstellungsfähig, da es sich um eine Meinungsäußerung handele. Da die angegriffene Berichterstattung nicht zwingend den Eindruck vermittele, der Antragsteller sei persönlich tätig geworden, hätten auch die modifizierten Anträge keinen Erfolg. Der Zurückweisungsbeschluss wurde der Beschwerdeführerin nicht bekanntgegeben.
Der gegen seinen Beschluss gerichteten sofortigen Beschwerde des Antragstellers half das Landgericht nicht ab und legte das Verfahren dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht vor.
5. Die Gerichtsakten gingen am 26. Oktober 2020 beim Hanseatischen Oberlandesgericht ein. Ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin erließ das Oberlandesgericht am 29. Oktober 2020 die angegriffene einstweilige Verfügung, die die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung einer der modifizierten Gegendarstellungen verpflichtete. Es führte aus, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts der Leser aufgrund der mehrfachen Nennung des Namens des Antragstellers zwingend von dessen persönlichem Tätigwerden ausgehe.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers übermittelte der Beschwerdeführerin die einstweilige Verfügung am 30. Oktober 2020 per Telefax und per E-Mail zur Kenntnisnahme. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 3. November 2020 berichtigte das Oberlandesgericht einen Schreibfehler. Die berichtigte Fassung des Beschlusses wurde der Beschwerdeführerin am 10. November 2020 zugestellt.
Am 20. November 2020 legte die Beschwerdeführerin Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Den zunächst für den 11....
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