Beschluss vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2018:rs20180213.2bvr065116 |
Judgement Number | 2 BvR 651/16 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2018 - 2 BvR 651/16 - Rn. (1-26), |
Date | 13 Febrero 2018 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 651/16 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des V… e.V., vertreten durch seine Vorstandsmitglieder, den Vorsitzenden Dr. K., den Stellvertretenden Vorsitzenden B. und den Schriftführer S., |
- Bevollmächtigter:
-
Prof. Dr. Bernd Hecker,
Universität Tübingen, Geschwister-Scholl-Platz,
72074 Tübingen -
gegen |
§ 217 Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBI I S. 2177) |
hier: | Ablehnung des Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
am 13. Februar 2018 beschlossen:
- Die Ablehnung des Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt
A.
Der Beschwerdeführer ist ein Sterbehilfeverein, der unter anderem den Zweck verfolgt, Mitgliedern, die aus dem Leben scheiden wollen, einen begleiteten Suizid zu ermöglichen. Seine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 217 Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2177). Die Vorschrift lautet:
§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
Der Beschwerdeführer lehnt den Richter Müller wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
I.
1. In einer Kanzelrede, die er am 9. Dezember 2001 in der evangelischen Christuskirche in Dormagen hielt, bekannte sich Richter Müller, damals Ministerpräsident des Saarlands, zum Grundsatz der „Nichtverfügbarkeit des Lebens“, lehnte aktive Sterbehilfe ab und forderte zugleich mehr Begleitung und Hilfe für Sterbende.
2. Am 7. März 2006 fand ein Treffen der saarländischen Landesregierung unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Müller mit Vertretern der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche der Pfalz statt. Eine anschließende Presseerklärung gab das Ergebnis des Treffens wie folgt wieder:
„Einmütig verurteilen Land und Kirchen die mit der in Niedersachsen erfolgten Gründung des Vereins ‚Dignitas Deutschland‘ einhergehende geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. Gemeinsam mit Thüringen will das Saarland nach Gründung des Vereins gegen die Zulassung solcher aktiven Sterbehilfe vorgehen und für die Schaffung eines entsprechenden Straftatbestandes eintreten“.
Mit Schreiben an den Bundesratspräsidenten vom 27. März 2006 übersandte Ministerpräsident Müller den von Saarland, Hessen und Thüringen getragenen Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung. Dieser sah vor, folgenden neuen § 217 in das Strafgesetzbuch einzufügen:
§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit vermittelt oder verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
Der Bundesrat verwies den Entwurf in seiner Sitzung am 7. April 2006 in die Ausschüsse (BRDrucks 230/06). Nachdem sich weder für diesen noch für einen alternativen Entwurf (BRDrucks 436/08) eine Mehrheit fand, beschloss der Bundesrat am 4. Juli 2008, die Beratung der Vorlage zu vertagen und die Ausschussberatungen fortzusetzen. Ferner fasste er eine Entschließung, wonach ein gesetzgeberisches Handeln noch im laufenden Jahr geboten sei. Diese Entschließung wurde in der Plenarsitzung des Bundesrats vom 11. April 2014 für erledigt erklärt.
3. § 217 StGB in seiner verfahrensgegenständlichen Fassung beruht auf einer Initiative mehrerer Abgeordneter des Deutschen Bundestags, die den Gesetzentwurf am 1. Juli 2015 eingebracht hatten (BTDrucks 18/5373). Dieser Gesetzentwurf nimmt mehrfach auf den von Ministerpräsident Müller vorgelegten Gesetzentwurf aus dem Jahr 2006 und dessen Begründung (BRDrucks 230/06) Bezug.
II.
Zur Begründung seiner mit Schriftsatz vom 20. Februar 2017 erklärten Ablehnung des im November 2011 vom Bundesrat zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählten Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit hat der Beschwerdeführer ausgeführt: Die Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundesrat im Jahre 2006 sei für den jetzigen Richter Müller keine Routine exekutiven Handelns, sondern ein Ausnahmevorgang gewesen, für den er sich persönlich engagiert habe. Richter Müller sei politischer Initiant und geistiger Urheber eines Gesetzgebungsverfahrens gewesen, das auf ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung abgezielt habe. Eine Besonderheit liege in der gesellschaftspolitischen Brisanz der Regelungsmaterie, die eine auch von taktischen Erwägungen geprägte intensive Abstimmung der drei an der Gesetzesinitiative beteiligten Landesregierungen und ihrer Ministerpräsidenten nahelege. Auch die Pressekonferenz vom 7. März 2006 anlässlich des Treffens des saarländischen Kabinetts mit der Evangelischen Kirche zeige das persönliche Engagement des damaligen Ministerpräsidenten Müller.
Der am 27. März 2006 von Ministerpräsident Müller in den Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf bilde hinsichtlich seiner rechtspolitischen Zielsetzung, Tatbestandsbeschreibung, strafrechtsdogmatischen Struktur und der wesentlichen Begründungsmuster das Referenzmodell für alle nachfolgenden Gesetzentwürfe, einschließlich des nunmehr verfahrensgegenständlichen § 217 StGB. In dem Gesetzentwurf zu diesem Straftatbestand werde an fünf Stellen auf den früheren Gesetzentwurf Bezug genommen. Dieser habe in erheblichem Ausmaß, insbesondere bei der Gesetzesbegründung, als Vorbild gedient.
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