Beschluss vom 19. Juli 2016 - 2 BvR 470/08
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160719.2bvr047008 |
Date | 19 Julio 2016 |
Judgement Number | 2 BvR 470/08 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 2016 - 2 BvR 470/08 - Rn. (1-61), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 470/08 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn L…, |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Norbert Gross,
Lammstraße 11, 76133 Karlsruhe -
gegen |
a) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts München |
vom 25. Februar 2008 - 3 U 1990/07 -, |
||
b) |
das Urteil des Oberlandesgerichts München |
|
vom 16. Januar 2008 - 3 U 1990/07 -, |
||
c) |
das Urteil des Amtsgerichts Laufen |
|
vom 6. Februar 2007 - 2 C 0116/06 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
am 19. Juli 2016 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 6. Februar 2007 - 2 C 0116/06 - und das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 16. Januar 2008 - 3 U 1990/07 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Laufen zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 25. Februar 2008 - 3 U 1990/07 - ist gegenstandslos
- Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Benachteiligung ausländischer Besucher eines kommunalen Freizeitbads gegenüber Einwohnern der das Bad in Privatrechtsform betreibenden Kommunen.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Österreich. Im September 2005 besuchte er ein Freizeitbad in B…. Dieses wird von der Beklagten des Ausgangsverfahrens betrieben, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Alleingesellschafter der Beklagten ist ein Fremdenverkehrsverband. Dieser Zweckverband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 2 der Satzung vom 6. Juli 2004, Oberbayerisches Amtsblatt Seite 101, zuletzt geändert durch Satzung vom 24. September 2014, Oberbayerisches Amtsblatt Seite 170). Mitglieder des Zweckverbands sind der Landkreis B… sowie fünf Gemeinden des Landkreises. Einwohnern dieser fünf Gemeinden gewährte die Beklagte einen Nachlass auf den regulären Eintrittspreis von etwa einem Drittel. Da der Beschwerdeführer nicht Einwohner dieser Gemeinden war, entrichtete er den regulären Eintrittspreis.
2. Der Beschwerdeführer sieht in dieser Preisgestaltung eine unzulässige Benachteiligung. Daher erhob er Klage zum Amtsgericht Laufen, mit der er von der Beklagten die Rückzahlung des Differenzbetrags verlangte und außerdem die Feststellung begehrte, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den Eintritt künftig zu dem ermäßigten Entgelt zu gewähren.
a) Das Amtsgericht wies die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 6. Februar 2007 ab. Ein Anspruch aus § 812 BGB scheide aus. Der Beschwerdeführer habe den Differenzbetrag nicht ohne rechtlichen Grund bezahlt. Der dieser Zahlung zugrundeliegende Vertrag sei insbesondere nicht gemäß § 134 BGB nichtig.
Als gesetzliches Verbot im Sinne dieser Bestimmung komme zwar Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) in Betracht, der auch die passive Dienstleistungsfreiheit schütze. Jedoch sei vorliegend nicht von der notwendigen Horizontalwirkung auszugehen. Denn unabhängig von der privaten Rechtsform der Beklagten seien deren Leistungen nicht dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen, dem etwa die Versorgung mit Wasser oder Elektrizität sowie die Abfallentsorgung zugehörten. Vielmehr handele es sich um eine rein wirtschaftliche Tätigkeit. In diesem Bereich der Fiskaltätigkeit mangele es an der notwendigen Horizontalwirkung. Die Beklagte sei auch weder qualitativ noch quantitativ mit in erheblicher Weise am Wirtschaftsleben teilnehmenden Verbänden oder Berufsorganisationen vergleichbar.
Nichts anderes ergebe sich aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV (Art. 18 AEUV). Auch diese Bestimmung richte sich nicht an private Rechtsteilnehmer, zumal die Beklagte keinerlei tatbestandlich vorausgesetzte kollektive Regelungsmacht ausübe.
Die Grundrechte des Grundgesetzes schließlich seien keine Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB. Sie wirkten nur mittelbar über materiell-rechtliche Generalklauseln in das Privatrecht ein. Ein Verstoß gegen dergleichen Generalklauseln sei aber nicht ersichtlich. Der Beklagten könne etwa ein Missbrauch einer Monopolstellung oder sittenwidrige Ausbeutung nicht vorgeworfen werden. Auch bestehe für die Beklagte kein Kontrahierungszwang zu gleichen Preisen, da sie nicht im Bereich der Daseinsvorsorge tätig sei.
b) Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wies das nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b GVG in der damals geltenden Fassung zuständige Oberlandesgericht München mit dem angegriffenen Urteil vom 16. Januar 2008 zurück.
aa) Der Vertrag sei nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Diese Bestimmung ordne die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur für diejenigen Fälle an, in denen sich aus dem verletzten Verbotsgesetz nicht etwas anderes ergebe. In der Regel könne Nichtigkeit nur angenommen werden, wenn sich das Verbot gegen beide Vertragsteile richte. Sei das Rechtsgeschäft dagegen nur für einen Vertragsteil verboten, sei es in der Regel gültig. Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) ordne für den Fall einer Verletzung keine Rechtsfolge an. Das in dieser Bestimmung enthaltene Diskriminierungsverbot richte sich nur gegen den Diskriminierenden, nicht gegen den Diskriminierten. Da das Verbot demnach nicht beide Vertragsteile treffe, sei der Vertrag wirksam. Es könne deshalb dahinstehen, ob die Beklagte Adressatin des in Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) enthaltenen Diskriminierungsverbots sei und ob eine Diskriminierung im Sinne dieser Vorschrift überhaupt vorliege. Aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Sachen Dogenpalast (Urteil vom 16. Januar 2003, C-388/01, EU:C:2003:30) und Angonese (Urteil vom 6. Juni 2000, C-281/98, EU:C:2000:296) ergebe sich nichts anderes. Dort habe der Gerichtshof lediglich Verstöße der beklagten Mitgliedstaaten gegen deren europarechtliche Verpflichtungen festgestellt. Er habe sich jedoch nicht zur Frage der Wirksamkeit der diesen Verfahren zugrundeliegenden privatrechtlichen Verträge geäußert.
bb) Ein Zahlungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB. Schutzgesetze im Sinne dieser Bestimmung seien nur Vorschriften, die erkennbar die Schaffung eines Schadenersatzanspruchs erstrebten. Dies sei bei Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) nicht der Fall, der, wie dargelegt, eine Sanktion für Verstöße nicht anordne. Eine andere Einschätzung sei auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht geboten. Der Gerichtshof habe die Möglichkeit eines Schadenersatzanspruchs nur im Verhältnis zu Einrichtungen anerkannt, die unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse erbrächten und dazu mit besonderen Rechten ausgestattet seien. Die Beklagte erfülle nicht die Merkmale des im vom Gerichtshof entschiedenen Fall beklagten staatlichen Versicherungsunternehmens, wo es zudem, anders als hier, um die Frage der direkten Wirkung nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien gegangen sei.
cc) Auch der Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte dem Beschwerdeführer künftig den Eintritt zum selben Preis wie den privilegierten Gemeindeangehörigen gewähren müsse, sei unbegründet. Dieser Antrag sei dahingehend auszulegen, dass der Beschwerdeführer die Feststellung begehre, dass es der Beklagten untersagt sei, die Eintrittspreise nach den bisherigen Gesichtspunkten zu gestalten. Ein solcher Anspruch bestehe nicht. Er ergebe sich weder aus Europarecht noch aus nationalem Recht. Es gehe nicht um eine Frage der Auslegung des EG-Vertrags, sondern um dessen Anwendung auf den konkreten Einzelfall, was allein Aufgabe der nationalen Gerichte sei. Ein Verstoß gegen die Generalklauseln des Privatrechts im Hinblick auf die Grundrechte sei weder dargetan noch ersichtlich. Mit Blick auf Art. 3 GG habe die Beklagte sachbezogene Gründe für die Differenzierung bei den Eintrittspreisen dargelegt.
dd) Daraus ergebe sich schließlich auch, dass eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht veranlasst sei.
c) Die gegen dieses Urteil erhobene Gehörsrüge wies das Oberlandesgericht durch den angegriffenen Beschluss vom 25. Februar 2008 zurück. Der Senat habe den Vortrag des Beschwerdeführers umfassend zur Kenntnis genommen, er sei lediglich dessen Rechtsauffassung nicht gefolgt. Daraus ergebe sich keine Gehörsverletzung.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und aus Art. 101 Abs. 1 GG.
a) Das Berufungsurteil habe Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und die Verpflichtungen des Oberlandesgerichts aus Art. 10 EGV (Art. 4 Abs. 3 EUV) willkürlich missachte.
Mit Blick auf die Sanktionierung des gerügten Verstoßes gegen Art. 49 EGV sei es gemäß Art. 10 EGV Aufgabe des nationalen Richters, den Rechtsschutz zu gewähren, der sich für die Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergebe. Das nationale Gericht müsse immer dann, wenn eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts keine eigene Sanktionsregelung enthalte, alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Die nationalen Gerichte hätten darauf zu...
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