BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2722/06 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn D...,
2. der Frau R...,
3. des Herrn R...,
4. der Frau S...,
5. der Frau S...,
6. des Herrn S....,
7. der S...,
8. der Frau W...,
9. des Herrn W...,
10. der Frau W...,
Annastraße 28, 97072 Würzburg -
gegen a) | den Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2006 - BVerwG 4
A 1067.06 (4 A 1075.04) -, - hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 1), 4) bis 10) - |
b) | das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 -, |
c) | den Planfeststellungsbeschluss des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg vom 13. August 2004 - 44/1-6441/1/101 - in der Gestalt der 1. Änderung vom 8. März 2005 - 6441/01/101-102 -, der 2. Änderung vom 27. Januar 2006 - 44.7-6441/1/103 - sowie der Änderung in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2006 |
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Bryde,
Schluckebier
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 20. Februar 2008 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Planfeststellungsbeschluss für den Flughafenbau Berlin-Brandenburg International in Schönefeld (Land Brandenburg) und die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen.
Wegen des das Ausgangsverfahren betreffenden Sachverhalts wird auf das angegriffene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2006 (BVerwG 4 A 1075.04, BVerwGE 125, 116) und den angegriffenen Beschluss vom 23. August 2006 (BVerwG 4 A 1067.06 , JURIS) verwiesen.
Die Beschwerdeführer haben am 17. Juli 2006 Verfassungsbeschwerde erhoben. Die vom ursprünglich weiteren Beschwerdeführer B. eingelegte Verfassungsbeschwerde ist mit Schreiben vom 31. Januar 2007 zurückgenommen worden. Die verbliebenen Beschwerdeführer wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss, die ihm zugrunde liegende Standortentscheidung der Verordnung über den Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung vom 28. Oktober 2003 (LEP FS 2003, GVBl Bbg II S. 594; GVBl Bln S. 521) sowie das hierzu ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und rügen die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Art. 8 EMRK, Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts über die Anhörungsrüge wenden sich nur noch die Beschwerdeführer zu 1) und 4) bis 10), obwohl alle Beschwerdeführer Anhörungsrüge erhoben hatten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG hierfür nicht gegeben sind (vgl. BVerfGE 90, 22 ).
Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Sie wirft keine verfassungsrechtlichen Fragen auf, über deren Beantwortung ernsthafte Zweifel bestehen. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Dabei ist es zwar in Bezug auf die Zulässigkeit der Rüge des Art. 103 Abs. 1 GG unschädlich, dass sich die Beschwerdeführer zu 2) und 3) nicht auch gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts über die Anhörungsrüge vom 23. August 2006 wenden, obwohl sie diese Rüge offenbar aufrechterhalten. Denn auch sie haben insoweit den Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft, weil sie zusammen mit den übrigen Beschwerdeführern Anhörungsrüge erhoben hatten. Auch muss die Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht notwendig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, um eine Gehörsverletzung durch die Ausgangsentscheidung geltend machen zu können, weil sie im Verhältnis zur Gehörsverletzung durch die Ausgangsentscheidung keine neue Beschwer begründet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07 -, BeckRS 2007, 25607).
Die Verfassungsbeschwerde hat jedoch insgesamt keine Aussicht auf Erfolg, wobei es teilweise schon an der Einhaltung des Begründungserfordernisses nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG mangelt.
1. Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht hinreichend dargetan.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen des einschlägigen Prozessrechts die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (vgl. BVerfGE 50, 32 ; 60, 247 ). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt daher dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 50, 32 ; 60, 247 ; 69, 141 ).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsachengerichte gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit § 412 ZPO analog einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach tatrichterlichem Ermessen ablehnen, wenn zu einer Tatsache bereits ein verwertbares Gutachten vorliegt, das von ihnen für genügend erachtet wird. Dies gilt auch für ein im Laufe des Verwaltungsverfahrens eingeholtes Gutachten. Die Einholung eines weiteren Gutachtens ist regelmäßig dann erforderlich, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung deshalb aufdrängen musste, weil bereits eingeholte Gutachten nicht ihren Zweck zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche besondere Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die gerichtliche Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne ist ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts regelmäßig ungeeignet oder doch jedenfalls unzureichend, wenn es offen erkennbare Mängel enthält, insbesondere Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen aufkommen lässt, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche enthält, wenn ein anderer Sachverständiger über bessere Forschungsmittel verfügt oder wenn es sich um besonders schwierige fachliche Fragen handelt, die umstritten sind oder zu denen einander widersprechende Gutachten vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. September 2002 - 2 BvR 995/02 -, JURIS; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1968 - BVerwG VIII C 29.67 -, BVerwGE 31, 149; BVerwG, Beschluss vom 13. März 1992 - BVerwG 4 B 39.92 -, NVwZ 1993, S. 268; Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 -, NJW 1986, S. 2268 ; Breunig, in: Posser/Wolff (Hrsg.), BeckOK VwGO, § 86 Rn. 84 ff.
Darüber hinaus verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG die Gerichte nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (BVerfGE 64, 1 ; 87, 1 ). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 5, 22 ). Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 ). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 22, 267 ; 70, 288 ).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht ersichtlich.
aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2006 gestellten Beweisantrages Nr. 1075.1, der auf einen Vergleich des Flughafensystems mit der Singlestandortlösung abzielte.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Bundesverwaltungsgericht den diesbezüglichen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen hat, ihm habe zur Entscheidung über die erheblichen Fragen ausreichend gutachterliches Material zur Verfügung gestanden. Aus dem Beschluss über die Anhörungsrüge vom 23. August 2006 ergibt sich, dass es nicht nur die Gutachten, die von den Beklagten und den Beigeladenen des Ausgangsverfahrens vorgelegt wurden, sondern auch die Gutachten der Beschwerdeführer sowie die Ausführungen des von ihnen beauftragten Sachverständigen F. d. C. in der mündlichen Verhandlung berücksichtigt hat. Auf dieser Grundlage ist das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss gekommen, dass die Beibehaltung des Flughafensystems nicht eindeutig den Vorzug verdiene. Wenn die Beschwerdeführer diesbezüglich rügen, das Bundesverwaltungsgericht habe die von ihnen vorgelegten Stellungnahmen nicht mit der erforderlichen Genauigkeit gelesen, zeigen sie nicht auf, dass sich die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aufgedrängt hätte. Vielmehr wenden sie sich im Kern gegen die vom Bundesverwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte jedoch nicht, der Rechtsansicht...