Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2017:ls20170523.2bvl001011 |
Date | 23 Mayo 2017 |
Judgement Number | 2 BvL 10/11 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 - Rn. (1-104), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
Leitsatz
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Mai 2017
- 2 BvL 10/11 -
- 2 BvL 28/14 -
- Es gibt weder einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG), der die Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten im Dienste einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung zwingend anordnet oder untersagt, noch einen solchen Grundsatz, nach dem sich der Umgang mit Kapitalabfindungen aus dem Dienst in zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen bestimmt.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvL 10/11 -
- 2 BvL 28/14 -
zu der verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 55b Abs. 3 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 (BGBl I S. 843) sowie in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften (BeamtVGÄndG) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2218) gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verstößt |
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011 - 10 A 10747/11.OVG - |
- 2 BvL 10/11 -,
ob § 56 Abs. 2 des Gesetzes über die Versorgung der Beamten und Richter des Bundes (Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG) in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung mit Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist |
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. November 2014 - M 21 K 12.2042 - |
- 2 BvL 28/14 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
am 23. Mai 2017 beschlossen:
- Die Verfahren 2 BvL 10/11 und 2 BvL 28/14 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Die Vorlage des Bayerischen Verwaltungsgerichts München in der Sache 2 BvL 28/14 ist unzulässig.
- § 55b Absatz 3 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 (Bundesgesetzblatt I Seite 843) sowie in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 1989 (Bundesgesetzblatt I Seite 2218) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
A.
Gegenstand der zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren sind zwei Richtervorlagen zum Versorgungsrecht der Soldaten (2 BvL 10/11) und der Beamten (2 BvL 28/14).
I.
Beide Vorlagen betreffen Bundeswehrangehörige, die in den Jahren 1973 bis 1981 beziehungsweise 1988 bis 1993 für den Dienst in einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung - hier in einer NATO-Untergliederung - beurlaubt waren und dort am Ende ihrer Dienstzeit zusätzlich zu ihren laufenden Bezügen eine Kapitalabfindung zur Altersversorgung erhielten. Diese Abfindung hatte zur Folge, dass die deutschen Versorgungsbezüge der Betroffenen nach ihrem Eintritt in den Ruhestand in einer von der Beurlaubungsdauer abhängigen Höhe dauerhaft zum Ruhen gebracht wurden, um den Wert der erhaltenen Abfindung auszugleichen. Die beiden vorlegenden Gerichte halten die im jeweiligen streitbefangenen Zeitraum anwendbaren Vorschriften über die Auswirkungen von Kapitalabfindungen auf die Ruhestandsbezüge für verfassungswidrig.
1. Berufssoldatinnen und -soldaten, die in den Ruhestand getreten sind, erhalten Ruhegehalt. Dessen Höhe ist nach der ruhegehaltfähigen Dienstzeit, den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen des in den letzten zwei Jahren vor der Zurruhesetzung bekleideten Amtes und dem jeweils gesetzlich festgelegten Ruhegehaltssatz zu bemessen (§ 14 Nr. 1, § 16, § 26 des Gesetzes über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen, SVG). Der Ruhegehaltssatz wird durch eine Addition der für jedes Jahr der ruhegehaltfähigen Dienstzeit festgelegten Vomhundertsätze bis zum jeweils geltenden Höchstsatz errechnet. Das Gesetz enthält Anrechnungs- und Ruhensvorschriften für den Fall, dass die den ehemaligen Berufssoldaten zustehenden Versorgungsbezüge mit Erwerbs- beziehungsweise Erwerbsersatzeinkommen (§ 53 SVG) oder mit anderen Versorgungsbezügen (§§ 55 bis 55b SVG) zusammentreffen; auf diese Weise soll eine Überalimentierung ebenso wie eine Unteralimentierung vermieden werden. Dabei können nicht nur periodisch gezahlte Erwerbseinkommen und Versorgungsleistungen zur Anwendung der Ruhensvorschriften führen, sondern auch einmalige Zahlungen in Form von Beitragserstattungen, Kapitalleistungen oder Abfindungen. Schließlich werden nicht nur Leistungen deutscher Dienstherrn oder Arbeitgeber berücksichtigt, sondern auch Zahlungen, die im Zusammenhang mit einer Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung wie etwa der NATO oder der Europäischen Union stehen (§ 55b SVG).
Die Ruhensvorschriften führen dazu, dass das den ehemaligen Bundeswehrangehörigen grundsätzlich zustehende deutsche Ruhegehalt teilweise nicht ausgezahlt wird. Die Höhe des Ruhensbetrages ist nicht von der Höhe der zuvor erhaltenen zwischen- oder überstaatlichen Versorgungsleistungen, sondern allein von der Dauer der Beurlaubung für den Dienst in der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung abhängig. Handelt es sich bei den anzurechnenden Versorgungsleistungen um laufende Zahlungen, darf der Ruhensbetrag allerdings die Höhe der laufenden Versorgungsleistungen der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung nicht überschreiten. Dies hat zur Folge, dass zumindest ein Gesamtbetrag ausgezahlt wird, der in seiner Höhe den nach innerstaatlichem Versorgungsrecht zustehenden Ruhestandsbezügen entspricht. Handelt es sich bei der zu berücksichtigenden zwischen- oder überstaatlichen Versorgungsleistung hingegen - wie in den Vorlagefällen - um eine einmalige Kapitalabfindung, ordnet das Gesetz in den für die Ausgangsfälle einschlägigen Fassungen zwar ebenfalls das (teilweise) Ruhen des deutschen Ruhegehalts auf der Grundlage der Beurlaubungszeit an, enthält jedoch weder eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung des Ruhens noch eine Deckelung des Ruhensbetrages auf die Höhe der zwischen- oder überstaatlichen Versorgung. Dies kann dazu führen, dass die Summe aller Ruhensbeträge nach Ablauf einer gewissen Zeitdauer jedenfalls den Nennbetrag der erhaltenen Abfindung überschreitet.
§ 55b SVG lautete in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 (BGBl I S. 843, SVG 1987), anwendbar in den Jahren 1987 bis 1991:
(1) Erhält ein Soldat im Ruhestand aus der Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung eine Versorgung, ruht sein deutsches Ruhegehalt in Höhe des Betrages, der einer Minderung des Vomhundertsatzes von 2,14 für jedes im zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Dienst vollendete Jahr entspricht; der Unterschiedsbetrag nach § 47 Abs. 1 ruht in Höhe von 2,85 vom Hundert für jedes im zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Dienst vollendete Jahr. Die Versorgungsbezüge ruhen in voller Höhe, wenn der Soldat im Ruhestand als Invaliditätspension die Höchstversorgung aus seinem Amt bei der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung erhält. Der Ruhensbetrag darf die von der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gewährte Versorgung nicht übersteigen.
(2) Bei der Anwendung des Absatzes 1 wird die Zeit, in welcher der Soldat im Ruhestand, ohne ein Amt bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung auszuüben, dort einen Anspruch auf Vergütung oder sonstige Entschädigung hat und Ruhegehaltsansprüche erwirbt, als Zeit im zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Dienst gerechnet. Entsprechendes gilt für Zeiten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung, die dort bei der Berechnung des Ruhegehalts wie Dienstzeiten berücksichtigt werden.
(3) Absatz 1 Satz 1 findet auch Anwendung, wenn der Soldat oder Soldat im Ruhestand bei seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung an Stelle einer Versorgung einen Kapitalbetrag als Abfindung oder als Zahlung aus einem Versorgungsfonds erhält. Das gilt nicht, wenn der Soldat oder Soldat im Ruhestand den Teil des Kapitalbetrags, der die Rückzahlung der von ihm geleisteten eigenen Beiträge zuzüglich der hierauf gewährten Zinsen übersteigt, an den Bund abführt. Zahlt der Soldat oder Soldat im Ruhestand nur den auf ein oder mehrere Jahre entfallenden Bruchteil dieses Betrages an den Bund, findet Absatz 1 Satz 1 nur hinsichtlich dieser Jahre keine Anwendung. Die Zahlung muss innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Entsendung oder der Berufung in das Soldatenverhältnis erfolgen.
(4) Hat der Soldat oder Soldat im Ruhestand schon vor seinem Ausscheiden aus dem zwischenstaatlichen oder überstaatlichen öffentlichen Dienst unmittelbar oder mittelbar Zahlungen aus dem Kapitalbetrag erhalten oder hat die zwischenstaatliche oder überstaatliche Einrichtung diesen durch Aufrechnung oder in anderer Form verringert, ist die Zahlung nach Absatz 3 in Höhe des ungekürzten Kapitalbetrages zu leisten.
(5) ...
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