BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 318/17 -
- 1 BvR 1474/17 -
- 1 BvR 2207/17 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. |
1. der H… GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer K…, |
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2. |
der K… GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer S…, |
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3. |
der G… GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer N…, |
- Bevollmächtigte:
-
Bregenhorn-Wendland Rechtsanwaltssozietät,
Ungelsheimer Weg 8, 40472 Düsseldorf -
gegen |
1. |
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 16/16 R -, |
2. |
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 18/16 R -, |
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3. |
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 19/16 R -, |
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4. |
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 22/16 R - |
- 1 BvR 318/17 -,
II. |
der P… GmbH & Co. KGaA, vertreten durch die P… GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer S… und S…, |
- Bevollmächtigte:
-
Bregenhorn-Wendland Rechtsanwaltssozietät,
Ungelsheimer Weg 8, 40472 Düsseldorf -
gegen |
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. März 2017 - B1 KR 23/16 R - |
- 1 BvR 1474/17 -,
III. |
der H… gGmbH, vertreten durch den Geschäftsführer J…, |
- Bevollmächtigte:
-
Bregenhorn-Wendland Rechtsanwaltssozietät,
Ungelsheimer Weg 8, 40472 Düsseldorf -
gegen |
das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Mai 2017 - B 1 KR 24/16 R - |
und | Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand |
- 1 BvR 2207/17 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
die Richterin Ott
und den Richter Christ
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 26. November 2018 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerden werden - unbeschadet des Wiedereinsetzungsantrags im Verfahren 1 BvR 2207/17 - nicht zur Entscheidung angenommen
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die in der Fachgerichtsbarkeit zumindest bis zur Einfügung von § 275 Abs. 1c Satz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zum 1. Januar 2016 umstrittene Frage, ob Krankenhäuser nach der Prüfung einer Krankenhausabrechnung unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (im Folgenden: MDK), die im Ergebnis nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags geführt hat, in allen Fällen von den Krankenkassen die in § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V vorgesehene Aufwandspauschale verlangen können.
A.
I.
1. a) Die Abrechnung von Krankenhausleistungen erfolgt in Deutschland überwiegend auf der Grundlage des sogenannten DRG-Systems (vgl. vor allem § 17b bis § 17d des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze - Krankenhausfinanzierungsge-setz
Auf Grund der Komplexität dieses durch das Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz - FPG) vom 23. April 2002 (BGBl I S. 1412) mit Wirkung zum 1. Januar 2003 in Deutschland eingeführten Klassifikationssystems kommt es unstreitig in erheblichem Maße zu Fehlkodierungen der für die Abrechnung maßgeblichen Diagnosen und Prozeduren. Deshalb ist die Kontrolle von Abrechnungen für die Krankenkassen von großer Bedeutung, andererseits für die Krankenhäuser mit erheblichem wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand verbunden. Das gilt insbesondere für Prüfungen auf der dritten Stufe des vom Bundessozialgericht entwickelten Prüfsystems der Abrechnung von stationären Krankenhausleistungen (vgl. zu diesem System z.B. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R -, BSGE 111, 58 ): Danach prüfen die Krankenkassen auf einer ersten Stufe die von den Krankenhäusern auf der Grundlage des § 301 SGB V übermittelten Daten. Erschließen sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder die Richtigkeit der Abrechnung den Mitarbeitern der Krankenkasse aufgrund dieser Angaben, daran anknüpfender Nachfragen oder eines Kurzberichts über die Behandlung nicht, ist auf der zweiten Stufe ein Prüfverfahren unter Einschaltung des MDK einzuleiten. Dazu hat die Krankenkasse dem MDK nach § 276 Abs. 1 Satz 1 SGB V die zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die ihr vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt worden sind. Ist der Sachverhalt auch auf dieser Grundlage nicht zu klären, hat das Krankenhaus schließlich auf einer dritten Stufe dem MDK alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse benötigt werden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
In diesem Rahmen war bis zu der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2016 die auch den Ausgangsverfahren zugrunde liegende Frage umstritten, ob alle denkbaren Prüfungen von Krankenhausabrechnungen durch die Krankenkassen unter Einbeziehung des MDK von § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfasst werden und die Krankenkassen daher durchgängig die daran anknüpfenden Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V zu beachten und gegebenenfalls die Aufwandspauschale nach dessen Satz 3 zu zahlen haben, oder ob es neben einer dort geregelten „Auffälligkeitsprüfung“ noch eine davon unabhängige und in den maßgeblichen Zeiträumen den Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V nicht unterworfene „Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit“ gibt.
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V lautet:
Die Krankenkassen sind in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet,
1.bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung,
[…]
eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) einzuholen.
b) § 275 Abs. 1c SGB V gestaltet die Prüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V für die Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V näher aus. In der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung, die das Bundessozialgericht allen angegriffenen Entscheidungen zugrunde legte, lautete die Vorschrift:
Bei Krankenhausbehandlung nach § 39 ist eine Prüfung nach Absatz 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro zu entrichten.
Die Vorschrift geht auf Art. 1 Nr. 185 Buchstabe a des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbs-stärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl I S. 378 ) zurück und trat zum 1. April 2007 in Kraft (Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG). Die Aufwandspauschale betrug damals 100 Euro. Im Krankenhausbereich bestehe, so die Entwurfsbegründung (vgl. BTDrucks 16/3100, S. 171), Handlungsbedarf im Hinblick auf den Umfang der gutachtlichen Stellungnahmen des MDK, welche die Krankenkassen in der Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V anforderten. Von einzelnen Krankenkassen werde die Prüfungsmöglichkeit in unverhältnis-mäßiger und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung genutzt. Dies führe zu unnötiger Bürokratie, was die Abläufe in den Krankenhäusern erheblich belaste, für zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand sorge und zu nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen führe; eine zeitnahe Prüfung sei nicht immer gewährleistet. Als Beitrag zum Bürokratieabbau würden Anreize gesetzt, Einzelfallprüfungen zielorientierter und zügiger einzusetzen. Um ungezielten und übermäßigen Begutachtungen entgegenzuwirken, werde mit § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V eine Aufwandspauschale von 100 Euro eingeführt, die für alle diejenigen Krankenhausfälle zu zahlen sei, in denen die Einzelfallprüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags durch die Krankenkasse führe.
Die vom Bundesrat gegenüber der Regelung vorgebrachten Bedenken führten zu keiner Änderung; er hatte in seiner Äußerung zum Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Regelung über die Aufwandspauschale zu streichen, und dazu geltend gemacht (vgl. BTDrucks 16/3950, S. 35),...