Beschluss vom 27. Juni 2018 - 1 BvR 100/15
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180627.1bvr010015 |
Judgement Number | 1 BvR 100/15 |
Date | 27 Junio 2018 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juni 2018 - 1 BvR 100/15 - Rn. (1-26), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 100/15 -
- 1 BvR 249/15 -
über
die Verfassungsbeschwerden
1.des Herrn S…, |
- Bevollmächtigte:
-
Rechtsanwälte Sauer & Sauer,
Frankfurter Straße 25, 51065 Köln -
gegen |
a)das Urteil des Bundessozialgerichts |
|
vom 23. Juli 2014 - B 12 KR 28/12 R -, |
||
b)das Urteil des Sozialgerichts Köln |
||
vom 9. November 2012 - S 26 KR 1041/11 - |
- 1 BvR 100/15 -,
2.des Herrn S…, |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Dr. Christoph Lindner,
Hechtseestraße 16, 83022 Rosenheim -
gegen |
a)das Urteil des Bundessozialgerichts |
|
vom 23. Juli 2014 - B 12 KR 26/12 R -, |
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b)das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz |
||
vom 15. November 2012 - L 5 KR 78/12 - |
- 1 BvR 249/15 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
die Richterin Ott
und den Richter Christ
am 27. Juni 2018 einstimmig beschlossen:
- 1.Das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 9. November 2012 - S 26 KR 1041/11 - und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 - B 12 KR 28/12 R - verletzen den Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 100/15 in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 - B 12 KR 28/12 R - und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 9. November 2012 - S 26 KR 1041/11 - werden aufgehoben. Das Verfahren wird an das Sozialgericht Köln zurückverwiesen
- 2.Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 2012 - L 5 KR 78/12 - und das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 - B 12 KR 26/12 R - verletzen den Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 249/15 in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 - B 12 KR 26/12 R - und das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 2012 - L 5 KR 78/12 - werden aufgehoben. Das Verfahren wird an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen
- 3.Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern ihre jeweils notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner für Leistungen von Pensionskassen in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit.
I.
Die Krankenversicherung der Rentner wird seit dem Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl I S. 1205) unter anderem durch Beiträge der versicherten Rentner finanziert. Seitdem wird außer der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Arbeitseinkommen auch der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) zur Berechnung der Beiträge herangezogen. Als Versorgungsbezüge gelten nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unter anderem Renten der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden. Die Regelungen gelten ebenso für die Beitragsbemessung in der sozialen Pflegeversicherung.
II.
1. Beide Beschwerdeführer waren in ihrem Erwerbsleben vorübergehend bei einem Unternehmen des Bankgewerbes beschäftigt. Ihr jeweiliger Arbeitgeber meldete sie 1984 zur Pensionskasse der Bank- und Finanzbranche, die als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ausgestaltet war, an.
Die Satzungsregelungen und Versicherungsbedingungen der Pensionskasse sahen vor, dass mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages sowohl die vertragschließenden Unternehmen als auch deren bei der Pensionskasse versicherte Angestellte eine Mitgliedschaft in der Pensionskasse sowie die Stellung als Versicherungsnehmer erwerben. Beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis wandelte sich die Versicherung in eine beitragsfreie um, sofern sie nicht freiwillig fortgesetzt wurde. In letzterem Fall wurde der Versicherte Einzelmitglied in der Pensionskasse und alleiniger Versicherungsnehmer.
2. Nach dem Ausscheiden des 1952 geborenen Beschwerdeführers des Verfahrens 1 BvR 249/15 aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen des Bankgewerbes zahlte er ab dem 1. Januar 1987 selbst Beiträge in einen Versicherungsvertrag mit der Pensionskasse ein. Die Pensionskasse gewährt dem Beschwerdeführer seit dem 1. Juli 2005 Rente wegen Berufsunfähigkeit, anfänglich in Höhe von 406,86 € monatlich. Auf den Einzahlungen des Beschwerdeführers vom 1. Januar 1987 bis zum 30. Juni 2005 beruhten zu diesem Zeitpunkt 303,38 € der monatlichen Rentenzahlungen.
Der Beschwerdeführer ist seit dem 4. Mai 2006 als Rentner pflichtversichertes Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse sowie in einer Pflegekasse. Die Pensionskasse führt monatlich Beiträge an die Krankenkasse und deren Pflegekasse ab, die sie aus der gesamten Rentenzahlung errechnet. Die Krankenkasse lehnte, auch für die Pflegekasse handelnd, die Beitragsfreiheit der Leistungen, die auf Einzahlungen des Beschwerdeführers ab dem 1. Januar 1987 beruhen, und die Erstattung der darauf basierenden Beiträge ab, da es sich bei den Rentenzahlungen der Pensionskasse insgesamt um Versorgungsbezüge in Form von Renten der betrieblichen Altersvorsorge im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V handele. Nach dem stattgebenden Urteil der ersten Instanz blieben Berufung und Revision des Beschwerdeführers erfolglos.
3. Nach dem Ausscheiden des 1945 geborenen Beschwerdeführers des Verfahrens 1 BvR 100/15 aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen des Bankgewerbes zahlte er ab dem 1. Oktober 1985 selbst Beiträge in einen Versicherungsvertrag mit der Pensionskasse ein. Zum 1. Januar 2001 schloss der Beschwerdeführer mit der Pensionskasse eine Höherversicherung ab, die nur in Verbindung mit einer laufenden Versicherung zulässig war.
Der Beschwerdeführer ist seit dem 1. Februar 2008 als Rentner pflichtversichertes Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse. Seit dem 1. Januar 2010 erhält er neben der gesetzlichen Altersrente und anderen Versorgungsbezügen von der Pensionskasse monatliche Zahlungen in Höhe von 518,27 €. Hiervon beruhen 55,35 € auf Einzahlungen im Zeitraum des Beschäftigungsverhältnisses mit der Bank und 462,92 € auf Einzahlungen ab dem 1. Oktober 1985. Die Pensionskasse führt monatlich Beiträge an die Krankenkasse ab, die sie aus der gesamten Rentenzahlung errechnet. Die Krankenkasse lehnte die Erstattung der abgeführten Beiträge, die sich aus dem über 55,35 € hinausgehenden Anteil der monatlichen Zahlung der Pensionskasse ergeben, ab, da es sich bei den Rentenzahlungen der Pensionskasse insgesamt um Versorgungsbezüge in Form von Renten der betrieblichen Altersvorsorge im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V handele. Das Klageverfahren vor den Sozialgerichten blieb erfolglos.
4. Das...
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...diese Härten vermeidbar wären, sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (stRspr, zB BVerfG Beschluss vom 27.6.2018 - 1 BvR 100/15, 1 BvR 249/15 - Juris RdNr 15; Senatsurteil vom 27.10.2016 - B 10 EG 5/15 R - BSGE 122, 102 = SozR 4-7837 § 2b Nr 3, RdNr 34, jeweils mwN). ......
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