Beschluss vom 28. April 2011 - 1 BvR 2411/10
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20110428.1bvr241110 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. April 2011 - 1 BvR 2411/10 - Rn. (1-30), |
Judgement Number | 1 BvR 2411/10 |
Date | 28 Abril 2011 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2411/10 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn H...
gegen a) | den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 20. August 2010 - 2 K 1064/10.KS.R -, |
b) | den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 26. Juli 2010 - 2 K 961/09.KS - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof
und die Richter Eichberger,
Masing
am 28. April 2011 einstimmig beschlossen:
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Kassel vom 26. Juli 2010 - 2 K 961/09.KS - und vom 20. August 2010 - 2 K 1064/10.KS.R - verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Kassel zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich vorrangig gegen die Nichtbeachtung eines Ablehnungsgesuchs in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
I.
1. Der Beschwerdeführer war als Mitglied einer Erbengemeinschaft Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in Kassel. Das Gebäude wurde in das Denkmalbuch aufgenommen (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 des Hessischen Denkmalschutzgesetzes). Im April 2009 beantragte der Beschwerdeführer bei der Stadt Kassel festzustellen, dass das Gebäude kein Denkmal sei, hilfsweise wegen der erwiesenen Unwirtschaftlichkeit und des eklatanten Missverhältnisses zwischen Denkmalwürdigkeit und dem sonst erzielbaren Grundstückswert eine Genehmigung zum Abriss des Objekts zu erteilen. Die Stadt Kassel teilte ihm daraufhin unter anderem mit, dass ein Abbruchantrag aus denkmalpflegerischer Sicht abgelehnt werde.
Im August 2009 erhob der Beschwerdeführer Klage beim Verwaltungsgericht. In seiner Klageschrift kündigte er an, in erster Linie die Feststellung zu beantragen, dass das Gebäude kein Kulturdenkmal ist, hilfsweise die Stadt Kassel (Beklagte) zu verpflichten, ihm eine Abrissgenehmigung zu erteilen. Die Berichterstattung in dem Verfahren wurde dem Richter am Verwaltungsgericht K. übertragen.
Nach einem „Mediationsgespräch” erklärte der Beschwerdeführer den Rechtsstreit für erledigt und beantragte, der Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Die Beklagte widersprach der Erledigungserklärung.
Nachfolgend teilte der Beschwerdeführer dem Verwaltungsgericht mit, er stelle vorsorglich den Antrag, die Besetzung des Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit zu prüfen, und bitte um Mitteilung der dienstlichen Äußerung des Richters zu bestimmten, von ihm näher geschilderten Umständen. Im Übrigen nehme er die Klage zurück und beantrage, unter Heranziehung von § 161 Abs. 3 VwGO über die Kosten zu entscheiden.
2. Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 26. Juli 2010 stellte das Verwaltungsgericht durch den Richter am Verwaltungsgericht K. als Berichterstatter das Verfahren ein und erlegte dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens auf. Zugleich setzte es den Streitwert auf 5.000 € fest.
Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, nach der Klagerücknahme sei das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Die Kosten seien nach § 155 Abs. 2 VwGO dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, weil er die Klage zurückgenommen habe. Die Streitwertfestsetzung beruhe auf §§ 1 Nr. 2, 52, 63 GKG.
Sofern der Beschwerdeführer vorsorglich den Antrag gestellt habe, die Besetzung des Gerichts wegen Besorgnis der Befangenheit zu prüfen, habe diesem Antrag nicht mehr nachgegangen werden müssen, nachdem der Beschwerdeführer ausdrücklich die Klage zurückgenommen habe. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers in § 92 Abs. 3 VwGO sei das Verfahren zwingend einzustellen mit der Folge, dass eine andere Behandlung des Prozessstoffes der Bearbeitung nicht mehr zugänglich sei. Der Anregung des Beschwerdeführers, bei der Kostenentscheidung § 161 Abs. 3 VwGO anzuwenden, könne nicht gefolgt werden, da § 155 Abs. 2 VwGO eine abschließende Kostenentscheidung bei Klagerücknahme vorsehe, die der Regelung des § 161 Abs. 3 VwGO als speziellere vorgehe. Seien somit sowohl die Einstellung des Verfahrens gemäß § 92 Abs. 3 VwGO als auch die Kostenfolge nach § 155 Abs. 2 VwGO zwingend, bedürfe es einer Entscheidung über den Befangenheitsantrag unabhängig von dem Umstand nicht mehr, dass nach Einstellung des Verfahrens auch gar nicht mehr über den Befangenheitsantrag entschieden werden dürfe.
3. Mit dem ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 20. August 2010 wies das Verwaltungsgericht...
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